Ist Secondment eine Lösung, um Krisenzeiten zu überwinden?
Personal für einen begrenzten Zeitraum in ein anderes Unternehmens zu entsenden, ist in einigen Branchen gang und gäbe. Von diesem Prinzip, dem sogenannten "Secondment", können auch Unternehmen in der Immobilienwirtschaft profitieren. Denn zum einen entlastet es vorübergehend die eigene Payroll und zum anderen können Mitarbeiter sich neues Wissen aneignen.
Wer einen Tapetenwechsel braucht, muss nicht gleich seinen Job kündigen: Mitarbeitende können beispielsweise für eine Zeit ins Ausland wechseln oder sich bei einer anderen Organisation neue Kompetenzen aneignen. Bei Großkanzleien ist diese Secondment genannte Praxis bereits erprobt: Sie schicken ihre Anwälte zu wichtigen Kunden, wenn diese Personal benötigen, oder sie versetzen ihre Associates ins Ausland, wo sie sich in einem internationalen Umfeld fortbilden. Auch in der Immobilienwirtschaft ist Secondment inzwischen angekommen.
Vor allem für Projektentwickler ist es angesichts der schwankenden Auftragslage aktuell eine Herausforderung, ihr Personal voll auszulasten. Statt Stellen abzubauen und geschätzte Mitarbeitende zu verlieren, könnten sie einige Fachkräfte "verleihen" und sie nach einer gewissen Zeit zurückzukommen. Das entlastet die eigene Payroll und sichert trotzdem einen Arbeitsplatz. Wenn sich die wirtschaftliche Situation wieder stabilisiert hat, kehrt der Arbeitnehmer bestenfalls mit zusätzlichem Know-how, größerem Erfahrungsschatz und ausgebauten Fähigkeiten zurück. Expertenwissen lässt sich vergleichsweise einfach "handeln": Transaktions- und Investmentmanager könnten beispielsweise in ein Sachverständigenbüro gehen. Property-Manager wären in der Lage, bei einem Nachhaltigkeitsberater anfangen.
Secondment fördert die Personalentwicklung
"Secondment ist kein vorübergehendes Loswerden von Mitarbeitern", sagt Yama Mahasher, Geschäftsführer des ESG-Beratungshauses Westbridge Advisory und ehemaliger Chief Operating Officer von JLL. "Es ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Personalentwicklungsstrategie. Mitarbeiter wollen gestalten und auch mal etwas Neues kennenlernen." Seit Anfang Januar hat er zwei seiner Mitarbeitenden an das Digital-Start-up Quantrefy ausgeliehen, an dem Westbridge mit 50% beteiligt ist. Quantrefy hat eine ESG-Plattform für die Immobilienbranche entwickelt, die eine Echtzeitberechnung von Nachhaltigkeits-Scorings ermöglicht. Die beiden Westbridge-Mitarbeitenden sollen dort bis zum Ende des Sommers die Bereiche Operations und Finance kennenlernen.
Nach acht Monaten kehren sie wieder zu Westbridge zurück. "Wir leihen unsere Mitarbeiter für mindestens sechs Monate aus", sagt Mahasher. Bei einem kürzeren Zeitraum würde sich deren Außeneinsatz kaum lohnen, denn allein das Onboarding dauert mehrere Wochen. Falls der Einsatz länger dauern soll, ist Mahasher gesprächsbereit: "Mehr als zwei Jahre sollten es aber nicht sein." Wichtig ist, dass die ausgeliehenen Mitarbeitenden wissen, wo sie hingehören. "Je länger die Mitarbeiter weg sind, desto schwieriger ist es, regelmäßig Kontakt zu halten. Natürlich ist die Gefahr da, dass Entsandte nicht zurückkommen. Aber da bin ich relativ entspannt", sagt Mahasher. "Selbst wenn wir dadurch einen wichtigen Mitarbeiter verlieren, gewinnen wir allein durch das Angebot von Secondment womöglich neue Talente dazu." Denn Westbridge möchte nicht nur verleihen, sondern auch Mitarbeitende anderer Unternehmen bei sich begrüßen. "So können wir zu einem gewissen Teil in speziellen Jobprofilen Vakanzen reduzieren und gleichzeitig Asset-Manager im Bereich Nachhaltigkeit ausbilden", sagt Mahasher.
Das Unternehmen wächst stark – allein von September bis Dezember 2022 ist das Team von 100 auf 150 Mitarbeitende ausgebaut worden. Und in den ersten sechs Wochen dieses Jahres sind noch einmal 20 Leute hinzugekommen. Im laufenden Jahr möchte Mahasher weitere 60 bis 100 Stellen schaffen. "Vor allem Senior-Positionen sind schwer zu besetzen, hier ist Secondment für uns besonders attraktiv", sagt er. Sein nächster Schritt ist es, Partner und Kunden zu identifizieren, die sich dafür eignen könnten.
Vertraglich ist Secondment eine klassische befristete Arbeitnehmerüberlassung. Ist diese nicht konzernintern, muss vor der Umsetzung eine Erlaubnis durch die zuständige Agentur für Arbeit eingeholt werden. Auch zwischen den Unternehmen gilt es, einige Punkte klar vertraglich zu regeln: Manche Arbeitgeber teilen sich die Personalkosten, andere zahlen das Gehalt komplett plus eine Prämie an den alten Arbeitgeber. Mahasher erwartet, dass die neue Firma Zusatzkosten übernimmt – beispielsweise für Fahrt- oder Wohnkosten bei einem Standortwechsel. Er entsendet nur Mitarbeitende, die er schon lange kennt. Und: Sie müssen es auch wollen. "Unsere beiden Entsendeten waren im ersten Moment überrascht, weil sie von Secondment noch nie gehört hatten", sagt Mahasher. Als er ihnen das Prinzip erklärte, waren sie begeistert: "Sie hatten total Lust darauf, sich mit neuen Bereichen auseinanderzusetzen, ein neues Skillset aufzubauen und ein Digitalunternehmen kennenzulernen." Inzwischen plant er schon die zweite Überlassung.
Die Autorin: Anna Friedrich ist Journalistin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert.